
Nur selten hatte ich in den letzten Jahren bei einem Ratgeber-Hörbuch einen dermaßen gespaltenen Eindruck wie hier. Der Grund liegt nicht in den propagierten Grundsätzen der sog. „Konmari“-Methode:
- Alles auf einmal, in kurzer Zeit und perfekt aufräumen.
- Alle Dinge zum Aufräumen werden auf einem Haufen gesammelt.
- Entscheiden, was weggeworfen wird, aufgrund der Frage: „Macht es mich glücklich, wenn ich diesen Gegenstand in die Hand nehme?“
- Jeder Gegenstand, den man behält, bekommt seinen Platz zugewiesen.
- Alle Dinge müssen dort richtig verstaut werden.1
Diesen Grundsätzen stimme ich grundsätzlich zu. Und wie immer kommt nun das große ABER. Und im Fall dieses Buchs/Hörbuchs ist „groß“ noch eine Untertreibung, denn die esoterische Aura, die die Autorin um ihre eigentlich sehr pragmatische Methode aufbauscht, verleidet mir diese so gründlich, dass ich gegen Ende des Hörbuchs immer mehr die Lust verlor, weiter zuzuhören, geschweige denn sie anzuwenden.
Ein Beispiel für das esoterische „Geschwurbel“: Man soll den Gegenständen nach der Benutzung danken. Einen bewussten Umgang mit den Dingen, die einen umgeben, finde ich sehr gut und löblich, meinen Schuhen, dem E-Bike, der Jacke, den Handschuhen, dem Helm und allen anderen Dingen jeweils persönlich laut meinen Dank auszusprechen, geht mir aber dann doch einen Schritt zu weit. Noch dazu in der Gegenwart von anderen Menschen würde ich mir dabei schlicht und einfach „blöd“ vorkommen.
Hin und wieder ist die Methode in sich auch widersprüchlich. Ein ganz krasses Beispiel ist es, dass Marie Kondo darauf besteht, alle Umverpackungen sofort nach dem Kauf zu entsorgen, womöglich nicht einmal aus dem Geschäft mitzunehmen. Aber an anderer Stelle preist sie Schuhkartons als geradezu perfekte Helfer für die Sortierung. Wo soll man die aber herbekommen, wenn man sie schon im Laden gelassen hat? Und ganz ehrlich: Ich mag in der Küche keine Schuhkartons für die Sortierung benutzen. Da rollen sich – um Zeilenendes Worte zu benutzen – meine Fußnägel auf.
Dann gibt es da noch einen Punkt: Die Autorin ist gut zehn Jahre jünger als ich, lebt allein in einer Wohnung, die sie komplett nach ihren eigenen Bedürfnissen durchorganisiert hat. Ihr fehlt der große Störfaktor, der in einem „normalen“ und realistischen Haushalt für die meiste Unordnung sorgt: Kinder. Die gesamte Methode ist letztlich nur auf Erwachsene zugeschnitten. Bei Kindern, die nach der Schule einfach erst einmal alles von sich werfen, sich selbst nach mehrfacher Aufforderung nicht in die Lage versetzt sehen, Schuhe und Jacke aufzuräumen (obwohl Kleiderbügel und Schuhfach in weniger als einem Meter Entfernung und in bequemer Erreichbarkeit frei stehen), die ihre Schultasche/ihren Rucksack im Wohnzimmer parken und da gerne so lange belassen, bis die Eltern Druck machen, die Spielsachen ins Wohnzimmer räumen, noch mehr Spielsachen holen, noch mehr Spielsachen holen – und dann plötzlich das Haus verlassen, um mit anderen Kindern draußen zu spielen. Der Krempel liegt natürlich noch herum. Für dieses leider tagtäglich neu auftretende Problem (und alle schlaue Belehrung der Eltern wird von Kindern doch geflissentlich ignoriert) bietet sie überhaupt keine Lösung an.
Und da verlieren sich die vielen wohlmeinenden Ratschläge und die esoterische Wolke in einer Nichtumsetzbarkeit angesichts veränderter Ausgangsbedingungen. Wie ich oben geschrieben habe: An sich enthält das Buch etliche sehr gute Ideen, doch ohne die Widersprüche, vor allem ohne die esoterische Ausschmückung – und am meisten mit etwas mehr Familientauglichkeit wäre es tatsächlich Gold wert. So bleibt bei mir ein etwas schaler Beigeschmack. Papier ist halt geduldig, Hörbücher sind es auch. Ich als Hörer bin es nicht.
- Diese Auflistung stammt aus dem Wikipedia-Artikel zu Marie Kondo ↩
Leider hat mir noch nie ein Ratgeber wirklich geholfen Ordnung zu halten. Weil die Ursache, dass ich damit Probleme habe, in meiner Art des Denkenundfühlen liegt.
Ich denke jetzt ernsthaft darüber nach, ab heute an jedem Feierabend meinem Büroinventar für die treuen Dienste während des Arbeitstages zu danken. 😉
Mal schauen, wie lange es dauert, bis ich von meinen Kollegen als wunderlich eingestuft werde, wenn ich jeden Feierabend einläute mit: „Vielen Dank, lieber PC. Vielen Dank, liebe Rechenmaschine. Vielen Dank, Bleistift. Gute Nacht, John-Boy…“ 🙂
Made my day
Ja, ich sehe da genau so… Ich bin kein Ratgeber-averser Mensch, mit einigen habe ich tolle Dinge geschafft und tatsächlich Gewohnheiten geändert, wodurch es mir jetzt besser geht. Hier überwiegen aber ernsthaft die Zweifel, und wenn sich in mir alles so sträubt, kann es nicht klappen.
Ich gebe zu, dass ich mich tatsächlich schon bei Gegenständen bedankt habe, bevor ich sie entsorgt.
Das hat mehr mit einem hilfreichen Ritual zu tun. Ich bin eine Ansammlerin und habe tatsächlich emotionale Erinnerungsbindung an Gegenstände. Da ich mich schwer von Dingen trennen kann, hilft mir so ein Abschiedsritual beimir loslassen.
Wunderbar. Aber da liegt der Hund ja begraben. Ich kann mich relativ leicht wieder von Dingen trennen (gerade heute habe ich meine Garderobe ziemlich drastisch ausgedünnt – und ohne den geringsten Gewissensbiss). Daher ist das für mich einfach zuviel des Guten. Für andere mag es ja passen.
Das würde ich auch gerne können. Obwohl, wenn ich mich ordentlich bedanke, klappt das ja auch.😉
Ich glaube, in meiner Wohnung leben Kinder. ^^
Beitrag mit einem Schmunzeln gelesen und die Kommentare mit einem Kichern zur Kenntnis genommen 😉
Was soll ich als ordnungsliebender Mensch, nur weil zu faul zum Suchen, (dahinter steckt aber auch ein Kontrollfreak) in einem Singlehaushalt noch hinzufügen? 😉